Question to the brain

Woher kommen religiöse Gefühle?

Questioner: Peer Neustätter

Published: 26.05.2017

Woher kommen religiöse Gefühle? Und gibt es für deren Entstehung eine neurobiologische Erklärung?

The editor's reply is:

Antwort von Prof. Dr. Dr.  Georg Northoff , Professor für Neuroethik am Canada Research Chair in Mind, Brain Imaging and Neuroethics, Universität Ottawa, Kanada: Man muss diese Frage neurophilosophisch betrachten, also sowohl neurowissenschaftlich als auch philosophisch angehen. Unser Gehirn ist immer schon eingebettet in eine gewisse Umwelt, und die hat einen starken Einfluss auf die neuronalen Aktivitäten. Das wiederum hat einen gewichtigen Einfluss darauf, wie wir Dinge erleben. Dass die Prädisposition für religiöse Gefühle und Glauben in der Struktur des Gehirns vorhanden ist, steht außer Frage. Aber die aktuellen Inhalte werden eben sehr stark von der Umwelt bestimmt.

Genauer formuliert: Wir sind hier an der Grenze zwischen Gehirn und Erkenntnisvermögen unserer Umwelt und damit auch an der Grenze zwischen Naturwissenschaften und Religion. Stellen Sie sich vor, Sie leben in einem Land und können dieses nicht verlassen. Sie können dieses Land also nur von innen sehen und wissen nicht, ob das eine objektive Grenze ist oder ob diese auch wegfallen kann. So müssen Sie sich selbst auch vorstellen: Wir alle haben gewisse Erkenntnislimitationen. Wir können gewisse Dinge nicht wahrnehmen und das zeigt wiederum, wie unser Gehirn funktioniert.

Das Gehirn hat eine ganz starke Eigenaktivität. Wenn wir die Außenwelt wahrnehmen, dann ergibt sich immer eine Mischung aus der externen Umwelt einerseits und dieser Eigenaktivität andererseits. Durch diese Vermischung ist es uns unmöglich, die Umwelt so wahrzunehmen, wie sie wirklich ist. Wir haben daher nie absolute Objektivität, weil wir nie ausschließen können, dass unser Gehirn Informationen beimischt. Dadurch wird das Ergebnis subjektiv. Das hat schon der Philosoph Immanuel Kant klar ausgedrückt. Wir versuchen dann das, was wir nicht erkennen können, zu füllen. So kommen wahrscheinlich auch religiöse Ideen als Erklärung auf – früher zum Beispiel für Desaster wie Naturkatastrophen.

In bildgebenden Studien haben Wissenschaftler untersucht, welche Gehirnregionen von Nonnen aktiv sind, während sie bedeutsame biblische Texte lesen im Unterschied zu Texten ohne religiöse Bedeutung für sie. So hat man herausgefunden, dass vor allem folgende Areale daran beteiligt sind: der präfrontale Cortex, also die vorderen Stirnhirnregionen, und Areale in der Mitte des Gehirns sowie dem medialen temporalen Cortex mit dem Hippocampus, wo Gedanken und Erinnerungen verarbeitet werden. Hier werden religiöse Gefühle im Gehirn möglicherweise erzeugt.

Wenn verschiedene Gehirnregionen verändert sind, was zum Beispiel bei Personen mit Epilepsie aber auch mit Psychosen oder Schizophrenie passiert, können sich religiöse Gefühle entwickeln: Man glaubt an höhere Personen, erlebt sich als transzendent und vereint mit der Welt. Das beobachtet man häufig. Aber das ist natürlich auch immer ein Zusammenspiel vom Gehirn mit der Umwelt.

Ein Beispiel, das diese zentrale Rolle der Umwelt belegt: Im europäischen Kulturraum konnte man vor allem vor 30 bis 40 Jahren immer wieder beobachten, dass sich schizophrene Patienten als Jesus erlebten. Im asiatischen Raum hingegen glauben Patienten vielmehr, dass sie Buddha seien. Die Inhalte sind also kulturgegeben und damit umweltabhängig.

Aufgezeichnet von Martina Gauder

Cortex

Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex

Cortex bezeichnet eine Ansammlung von Neuronen, typischerweise in Form einer dünnen Oberfläche. Meist ist allerdings der Cortex cerebri gemeint, die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2

Author

License Terms

No user license granted: View only allowed.