Question to the brain

Warum beeinflusst Alkohol den Handtremor?

Questioner: Ralf Theurer

Published: 12.03.2016

Ich wüsste gerne, warum sich bei Gesunden wie auch bei manchen Kranken — zum Beispiel mit Essentiellem Tremor — unter Alkoholeinfluss der Handtremor zunächst verbessert und nach dem Alkoholabbau gegenüber der Ausgangssituation wieder verschlechtert.

The editor's reply is:

Prof. Dr. Günther Deuschl, Direktor der Klinik für Neurologie, Christian-​Albrechts Universität Kiel: Zunächst einmal: Es ist tatsächlich eine wissenschaftlich bewiesene Tatsache, dass Alkohol sich vorübergehend mildernd auf den Tremor auswirkt. Dazu reichen schon sehr geringe Mengen aus. Man kann den Effekt bereits ab etwa 0,2 Promille beobachten, also beispielsweise nach einem kleinen Glas Wein. Ebenso ist es gesichert, dass sich der Tremor nach Abbau des Alkohols zunächst verstärkt.

Warum das so ist, kann derzeit allerdings niemand mit Sicherheit sagen. Es gibt jedoch eine Reihe von Überlegungen und Hinweisen. So wissen wir, dass Alkoholmoleküle sich im Gehirn an bestimmte Rezeptoren heften und diese dadurch blockieren. Es handelt sich dabei um so genannte N-​MEthyl-​D-​Aspartat-​Rezeptoren, kurz: NMDA-​Rezeptoren.

NMDA-​Rezeptoren treten im Kleinhirn besonders gehäuft auf. Und dieses wiederum spielt eine Rolle in der so genannten Tremor-​Schleife. Dabei handelt es sich um mehrere miteinander verbundene Gehirnregionen, die sich im Kreis aktivieren: vom motorischen Cortex im Großhirn über den Pons, weiter zum Kleinhirn und von dort aus über den Thalamus wieder zurück zum motorischen Cortex. Auch hier wissen wir noch nicht genau, wie die Aktivierung in diesem Kreislauf letztlich zum Tremor führt. Man kann aber folgende Überlegung anstellen: Wenn der Alkohol die NMDA-​Rezeptoren im Kleinhirn blockiert, ist es denkbar, dass dadurch die Tremor-​Schleife unterbrochen wird und das Zittern vorübergehend aufhört.

Sollten diese Überlegungen den Tatsachen entsprechen, dann ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass der Tremor nach Alkoholabbau zunächst stärker wird. Ist der Rezeptor blockiert, reagiert der Körper darauf, indem er beispielsweise mehr Rezeptoren dieser Sorte produziert, um den Mangel auszugleichen. Das ist eigentlich bei allen Rezeptoren der Fall, also neurobiologisch gesehen nichts Besonderes. Nach einer gewissen Zeit, wenn der Alkohol im Körper abgebaut ist, werden die blockierten Bindungsstellen wieder freigegeben. Jetzt ist der Rezeptor im Übermaß vorhanden, was die Aktivierung in der Tremor-​Schleife verstärkt und damit auch das Zittern selbst – so lange, bis sich wieder ein normaler Rezeptorpegel eingestellt hat.

Bei dieser Erklärung handelt es sich, wie gesagt, bislang lediglich um eine Hypothese, die keineswegs bewiesen ist. Sie erscheint mir aber durchaus sehr plausibel.

Aufgezeichnet von Stefanie Reinberger

Cortex

Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex

Cortex bezeichnet eine Ansammlung von Neuronen, typischerweise in Form einer dünnen Oberfläche. Meist ist allerdings der Cortex cerebri gemeint, die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2

License Terms

No user license granted: View only allowed.