Frage an das Gehirn
Kopf oder Bauch - wer trifft die besseren Entscheidungen?
Veröffentlicht: 23.11.2012
„Hör auf dein Bauchgefühl“ oder „Schlaf mal drüber“, rät der Volksmund, wenn es um wichtige Entscheidungen geht. Doch wer fasst tatsächlich die besseren Beschlüsse — unser Verstand oder unsere Intuition?
Die Antwort der Redaktion lautet:
Dr. Dr. Svenja Caspers, Institut für Neurowissenschaften und Medizin, Forschungszentrum Jülich:
Grundlegend gilt: Nur im Kopf trifft ein Mensch Entscheidungen. Die Wahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten geht meistens mit vielen Denkprozessen einher und sie läuft im Gehirn ab. Im Bauch passiert diesbezüglich gar nichts. Hinter der Redewendung „aus dem Bauch heraus entscheiden“ verbergen sich unbewusste Prozesse wie etwa Intuition. Wenn ich mich beispielsweise intuitiv dafür entscheide, heute eine Jeans anzuziehen, kann ich dafür meist keine Gründe benennen. Ich entscheide dann auf der Basis vorangegangener Erlebnisse und den damit verbundenen Gefühlen. Zwar kann auch ein Magengrummeln oder Prickeln im Bauch einsetzen, wenn ich beispielsweise unsicher bin, ob eine Entscheidung richtig ist oder ich Angst vor den möglichen Konsequenzen habe. Dies sind aber lediglich begleitende Reaktionen des Körpers, die nichts mit dem Entscheidungsprozess selbst zu tun haben. Die Entscheidungsarbeit passiert ausschließlich im Gehirn.
Dort sind verschiedene Areale beteiligt – je nachdem, um welche Art von Entscheidung es sich handelt. In den primären sensorischen Arealen sowie den höher geordneten Assoziationsarealen des Temporallappens und des Parietallappens werden zunächst die verschiedenen Sinneseindrücke verarbeitet, die für meine Entscheidung eine Rolle spielen – zum Beispiel Farbe und Beschaffenheit meiner Kleidung. Von diesen Arealen aus werden die Signale weiter zum Frontallappen geleitet, wo die Information in einen Kontext eingebettet und bewertet wird, zum Beispiel: Heute habe ich ein Vorstellungsgespräch in einem seriösen Unternehmen; da ist es besser, einen Anzug statt normale Alltagskleidung anzuziehen.
Vermutlich gibt es unterschiedliche Arten von Entscheidungsfindungsprozessen, an denen jeweils andere Areale beteiligt sind. Menschen heute verfügen oft nur über begrenzte Ressourcen, das heißt zum Beispiel über wenig Zeit, eingeschränkte Aufmerksamkeit oder ihnen mangelt es an relevanten Informationen. In einem Versuch mit Führungskräften, die besonders schnell und viele Entscheidungen treffen müssen, fanden wir heraus, dass bei ihnen andere Hirnareale stärker beansprucht waren als bei Teilnehmern ohne Führungsverantwortung. Bei den Personen in leitenden Positionen war zusätzlich eine Hirnregion aktiv, die vor allem bei automatisierten Prozessen eine Rolle spielt: der Nucleus caudatus oder Schweifkern. Diese Kernregion hilft dabei, auf Basis von Erinnerungen, Handlungsmuster zu erstellen, die in einer neuen Situation automatisiert abgerufen werden können. So kann ein Mensch auch in Stresssituationen einen kühlen Kopf bewahren. Diese automatisierten Entscheidungen können durch Training unterstützt werden, wie man es auch von Rettungssanitätern kennt. In Notfällen sind die Sanitäter in der Regel nicht zum ersten Mal vor die Frage gestellt, was für den Lebenserhalt einer verletzten Person konkret zu tun ist. Den schnellen, oft als intuitiv bezeichneten Entscheidungen gingen viele Übungseinheiten und damit auch bewusste Denkprozesse voraus.
Unsere Erkenntnisse deuten darauf hin, dass sich Intuition und rationale Denkprozesse nicht gegenseitig ausschließen, sondern stark miteinander verwoben sind. Ob eine Entscheidung gut oder richtig ist, lässt sich damit nicht bemessen.
Aufgezeichnet von Leonie Seng
Aufmerksamkeit
Aufmerksamkeit/-/attention
Aufmerksamkeit dient uns als Werkzeug, innere und äußere Reize bewusst wahrzunehmen. Dies gelingt uns, indem wir unsere mentalen Ressourcen auf eine begrenzte Anzahl von Reizen bzw. Informationen konzentrieren. Während manche Stimuli automatisch unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, können wir andere kontrolliert auswählen. Unbewusst verarbeitet das Gehirn immer auch Reize, die gerade nicht im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen.