Question to the brain

Wie funktioniert Visualisierung?

Questioner: Moritz aus Hamburg

Published: 07.09.2025

Wie wirkt Visualisierung im Gehirn? Und wie lässt sich das nutzen?

The editor's reply is:

Dr. Jan Rauch, IAP Institut für Angewandte Psychologie, ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Zentrum Klinische Psychologie & Psychotherapie: Zunächst muss man den Begriff "Visualisierung" definieren. In der Regel meint man damit, sich etwas geistig in Bildern vorzustellen. Ursprünglich bekannt wurde das Visualisieren im Sportbereich vor allem über die Bewegungsvorstellung, etwa um komplizierte Bewegungen oder Bewegungsabläufe einzutrainieren. Skifahrer und Skifahrerinnen stellen sich beispielsweise vor einem Rennen nochmals vor, um alle Kurven herumzufahren. Und im Kunstturnen wird die Visualisierung genutzt, um sich einen komplizierten den Abgang vom Gerät zuerst 100 Mal genau vorzustellen, bevor man ihn tatsächlich ausführt. 

Untersuchungen zeigen, dass es durch intensives Imaginieren zu Nervenimpulsen kommt, selbst dann, wenn man sich die Bewegung nur vorstellt. Diese Art der Wirkung durch Visualisierung wird nach dem gleichnamigen Psychologen Carpenter-Effekt (auch idiomotorischer Effekt) genannt. Dieser wurde bereits vor über 100 Jahren beschrieben und ist mittlerweile gut neuropsychologisch nachweisbar. Durch die intensive Visualisierung von Bewegungen werden ähnliche Areale im Gehirn aktiviert wie bei einer echten Bewegung – nur ohne den motorischen Cortex. Diese Gehirnaktivitäten lassen sich in verschiedenen Scannern messen. 

Es gibt außerdem Studien, in denen Forschende gezeigt haben, dass die intensive Vorstellung von Muskelanspannung sogar messbare Effekte auf den Muskelquerschnitt hatte. Der Effekt ist jedoch so gering, dass er niemals das Workout im Fitnesscenter ersetzen kann. In wenig genutzten Muskelgruppen, etwa dem Muskelheber des kleinen Fingers, zeigt er sich dagegen deutlicher. Diese Art der Visualisierung lässt sich beispielsweise in der Physiotherapie einsetzen, indem sich die Patienten und Patientinnen (Bewegungs-)Übungen sowohl mental vorstellen als auch real ausführen. Die Wirkung ist dann am stärksten und unterstützt den Heilungsprozess.

Die Bewegungsvorstellung ist aber nicht die einzige Art der Visualisierung. Man kann sich auch Erfolgsbilder intensiv vorstellen, die dann eher motivational wirken. Wer einen Marathon läuft, für den kann die Vorstellung, dass die Familie im Ziel wartet, motivierend wirken, den Marathon zu Ende zu bringen – selbst wenn man zwischenzeitlich eher aufgeben will. Diese Wirkung wird teilweise auch in der Medizin genutzt, indem man Patientinnen und Patienten auffordert, sich eine erwünschte Zukunft vorzustellen. Dies kann helfen, trotz schwieriger Umstände weiterhin motiviert an Therapien oder anderen Behandlungsmethoden zu arbeiten. Die reine Vorstellungskraft wird aber eine Erkrankung nicht heilen.

Eine weitere Anwendungsmöglichkeit ist, verschiedene Situationen eines Ereignisses mental durchzuspielen. Das kann bei einem sportlichen Wettkampf helfen, etwa indem man sich mögliche Ablenkungen durch sportliche Konkurrenz vor dem Wettkampf vorstellt und die eigene Reaktion darauf „einübt“. Solche Übungen helfen die Konzentration zu behalten und sich in entscheidenden Momenten nicht ablenken zu lassen. Außerdem lässt sich Visualisierung zum Stressabbau und Entspannung einsetzen, in dem man sich beispielsweise einen schönen Ort, den man mit großer Entspannung verbindet, intensiv vorstellt. Das autogene Training, eine der wissenschaftlich erwiesenen Entspannungsmethoden, arbeitet ebenfalls mit der Vorstellungskraft. Hier hat die Visualisierung sicher auch einem medizinischen Nutzen.

Man kann aber auch in anderen Bereichen mit Visualisierung arbeiten und sich beispielsweise eine erwünschte Zukunft vorstellen, der Art: Wo möchte ich arbeiten oder wie möchte ich mich in Zukunft fühlen? Dieser Ansatz wird manchmal in Therapien und Beratungen genutzt. Oft wissen die Leute zwar, was sie nicht wollen. Aber die Frage, was sie wollen oder wie sie sich fühlen wollen, ist für die Befragten oft schwieriger zu beantworten. Die Visualisierung einer erwünschten Zukunft kann helfen, sich diesen Antworten anzunähern. Aus diesen Vorstellungen können dann konkrete Ziele abgeleitet werden, in welche Richtung man sich entwickeln möchte, und sie können helfen, erste Schritte in diese Richtung zu unternehmen. Hier muss man jedoch aufpassen, dass man die Visualisierung klar von der Manifestation abgrenzt, die viele glauben lässt, dass man Dinge durch reine Vorstellungskraft verändern kann. Aber hier gilt klar: Es gibt keine Geistwirkung durch einfache Vorstellung.

Aufgezeichnet von Stefanie Flunkert

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