Question to the brain
Was passiert beim Schlafwandeln?
Published: 16.10.2017
Was passiert beim Schlafwandeln im Gehirn?
The editor's reply is:
Antwort von Prof. Dr. med. Ingo Fietze, Leiter des Schlafmedizinischen Zentrums an der Charité Universitätsmedizin Berlin: Was der Volksmund als Schlafwandeln oder auch Mondsucht bezeichnet, ist in der Schlafmedizin eine Form der sogenannten Parasomnien. Dieser Begriff umfasst alle Auffälligkeiten im Verhalten oder Befinden einer Person, die während des Schlafens oder in Verbindung damit auftreten, also zum Beispiel auch Zuckungen beim Einschlafen oder vermehrte Albträume. Beim Schlafwandeln richtet sich die betroffene Personen in der Nacht auf oder sie verlässt ihr Bett. Mit ausdruckslosem Gesicht und starrem Blick bei geöffneten Augen gehen Schlafwandler meist Tätigkeiten nach, die sie auch am Tage häufig verrichten. Sie sind dabei nicht ansprechbar und nur schwer aufzuwecken. Auch können sie sich nicht an die Ereignisse erinnern, wenn man sie am nächsten Tag darauf anspricht.
Während die Schlafforschung in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte gemacht hat und wir viel über das Schlaf-Wach-Zentrum und dessen Funktion wissen, ist heute immer noch nicht ganz klar, wie Schlafwandeln eigentlich entsteht. Es ist wohl eine fehlende Balance zwischen den verschiedenen Gehirnarealen, die für Schlafen, Wachen und Motorik verantwortlich sind. Außerdem gibt es eine Verbindung zwischen bestimmten Genen und dieser Schlafstörung. Schlafwandeln findet im Tiefschlaf statt. Dieses Schlafstadium ist durch wenig Gehirnaktivität bei noch gering vorhandener Muskelspannung (Tonus) gekennzeichnet. Die geringe Hirnaktivität ist wohl verantwortlich für die meist stereotypen, gewohnten Bewegungen während des Wandelns.
Im Gegensatz zum Tiefschlaf kann man sich im REM-Schlaf (für rapid eye movement, also schnelle Augenbewegungen) wegen des fehlenden Muskeltonus nicht bewegen. Der Grund dafür ist leicht nachvollziehbar: während des REM-Schlafes hat man die meisten Träume, und wenn man sich dabei bewegen würde, weil man im Traum gerade rennt, würde man ganz schnell aus dem Bett fallen und sich verletzen. Ist diese Muskelblockade gestört, dann kommt es zu einer REM-Schlafverhaltensstörung, und der Patient bewegt sich entsprechend der Trauminhalte.
Junge Menschen träumen auch noch im Tiefschlaf, weswegen hier Schlafwandelepisoden auch mit Trauminhalten einhergehen können, z.B. bei geträumter Gefahr aus dem Fenster zu springen. Schließt man Patienten im Schlaflabor an ein Gerät an, das elektrische Eigenschaften von Gehirnwellen und den Muskeltonus aufzeichnet (Elektro-Enzephalograph, EEG), kann man bei Schlafwandlern auch ohne dass sie wandeln häufige Muskelzuckungen bzw. -Tonuserhöhungen im Tiefschlaf feststellen.
Je länger die Tiefschlafphasen, die vornehmlich in der ersten Nachthälfte auftreten, desto höher die Wahrscheinlichkeit für Schlafwandeln. Fieber, Alkohol und ein Schlafdefizit können lange Tiefschlafphasen provozieren. Man weiß auch, dass Medikamente gegen Depressionen (sogenannte SSRIs, selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer) Schlafwandeln hervorrufen können.
So häufig wie das Thema aber zum Beispiel in Cartoons und Comics gezeigt wird, ist die Somnambulie (lat. für Schlafwandeln) letztlich nicht: Bei Erwachsenen liegt die Häufigkeit in der Bevölkerung nur bei 1 bis 4 Prozent.
Aufgezeichnet von Andreas Grasskamp