Question to the brain

Gibt es wirklich Lerntypen?
Published: 22.06.2025
Stimmt es, dass Schülerinnen und Schüler entsprechend ihrer Lerntypen Inhalte besser aufnehmen?
The editor's reply is:
Prof. Dr. med. Katharina von Kriegstein, Prodekanin der Fakultät Psychologie, Professur Kognitive und Klinische Neurowissenschaft, Technische Universität Dresden: Nein. Schülerinnen und Schüler lernen nicht effektiver, wenn sie einem bestimmten Lerntyp zugeordnet und ihnen die Inhalte entsprechend angeboten werden. Das ist ein Mythos, der über die Jahre entstanden ist und sich hartnäckig hält. Untersuchungen haben aber gezeigt, dass diese Annahme nicht stimmt.
Es gibt allerdings viele verschiedene Techniken, um das Lernen zu verbessern. Eine davon ist das multisensorische Lernen. In diesem Bereich forscher wir mit der Frage, welche Mechanismen das Gehirn nutzt, um unter Verwendung mehrerer Sinne gut zu lernen.
Die meisten Untersuchungen haben wir zum Vokabellernen gemacht. Diese lassen sich übers Hören oder übers Lesen einprägen. Wir haben das jeweils noch um eine weitere Information ergänzt, zum Beispiel ein Bild. Das haben wir selbst für abstraktere Begriffe wie "Gedanke" so umgesetzt. Und schon das alleine diese Kombination, also Vokabel plus Bild, führt zu einem besseren Lernerfolg. Ähnlich verhält es sich mit Gesten, insbesondere dann, wenn es darum sich eine Vokabel einzuprägen und diese nach einem längeren Zeitraum wieder abzurufen.
Je nach Darbietung werden die Informationen zunächst in den sensorischen Arealen im Gehirn verarbeitet. Wir gehen davon aus, dass das Gehirn während des Lernens eine Art Weltmodell entwickelt. Das heißt, dass Wissen in verschiedenen Bereichen codiert wird. Wenn wir ein Wort gehört und dazu eine Geste gemacht haben, aktiviert das zunächst den Hörcortex. Anschließend werden schnell visuelle und motorische Areale aktiviert, die dann den Kontext simulieren, in dem etwas gelernt wurde. Gehirnregionen, die vorher nicht zusammengearbeitet haben, fangen dann an zu kooperieren.
Es gibt Hinweise darauf, dass multisensorisches Lernen vor allem dabei hilft sich Vokabeln länger zu merken. In unseren Untersuchungen haben wir eine Gruppe unisensorisch, eine zweite Gruppe multisensorisch lernen lassen. Hier gab es am Anfang keine deutlichen Unterschiede beim Erinnern an eine Vokabel. Mit zunehmendem Zeitabstand, zeigte sich jedoch: Wer sich die Vokabeln mithilfe multisensorischer Techniken eingeprägt hatte, behielt die Inhalte länger.
Gleichzeitig ist es aber nicht so, dass es darauf ankommt, so viele Sinne wie möglich anzusprechen. In der Literatur finden sich Hinweise, dass das Gehirn, wenn es sehr multisensorisch lernen soll, an Kapazitätsgrenzen stößt. Wichtig ist zudem, dass die Informationen in den unterschiedlichen Modalitäten zusammen passen, also zum Beispiel eine Geste, die „trinken“ andeutet, mit der entsprechenden Vokabel.
Für unsere Forschung haben wir das gesamte neurowissenschaftliche Methodenportfolio ausgeschöpft, um unsere Hypothesen nacheinander durchzutesten, Korrelationen zu erkennen und Kausalitäten nachzuweisen. Zum Einsatz kam etwa die funktionelle Bildgebung (fMRT). Damit konnten wir belegen, dass es bei der gleichzeitigen Präsentation von Vokabel und Geste zu, einer höheren Aktivierung im Motorcortex auf der linken Seite kommt, sowie im Areal, das für visuelles Bewegungssehen zuständig ist. Das beweist die Wirkung von Gesten beim Vokabellernen. Auch die Methode der TMS – der transkraniellen Magnetstimulation – kam zum Einsatz. Damit haben wir überprüft, ob der Motorkortex und der visuelle Kortex, den besseren Lernerfolg mitverursachen. Dies ist tatsächlich der Fall. Diese Untersuchungen haben wir mit Erwachsenen durchgeführt.
Wir wollten dann wissen, ob sich die besseren Lernergebnisse durch multisensorisches Lernen auch bei Kindern und Jugendlichen verschiedener Altersgruppen im Fremdsprachenunterricht erreichen lassen. Geprüft haben wir dazu Schüler und Schülerinnen der 3. Klasse, 6. Klasse und 8. Klasse sowie Studierende an einer Hochschule. Hierbei hat sich gezeigt, dass ab einem Alter von circa 14 Jahren die Kombination von Hören und Gesten deutlich besser funktioniert als die Kombination von Hören und Bildern. Bei Kindern aus der 3. und 6. Klasse ließ sich hier noch kein deutlicher Unterschied erkennen.
Aufgezeichnet von Anke Lorenz