Tierische Blicke

Tierische Blicke
Autor: Tanja Krämer

Fast alle Tiere auf dieser Welt sehen die Welt durch Augen. Doch kaum ein anderes Organ ist gleichzeitig so verbreitet wie vielfältig. Eine Reise durch die Tierwelt zeigt, wie unterschiedlich Lebewesen ihre Umwelt sehen.

Wissenschaftliche Betreuung: Prof. Dr. Jan Kremers

Veröffentlicht: 14.09.2016

Niveau: mittel

Grubenauge und Lochauge

Im Grubenauge sind die Lichtsinneszellen in eine Grube eingelagert. Dieser Aufbau ermöglicht ein gewisses Richtungssehen, weil je nach Lichteinfall nicht alle Zellen gleichermaßen erreicht werden. Ringelwürmer und Napfschnecken verfügen über diesen Augentyp.

Wenn die Grube tiefer wird und die Öffnung kleiner, entsteht das Lochauge, mit dem zum Beispiel der Nautilus, ein ursprünglicher Kopffüßer, seine Umwelt sieht. Die schmale Öffnung und die erhöhte Anzahl der Sehzellen ermöglicht bei diesem Augentyp erstmals das Erkennen richtiger Bilder. Die Sicht ist relativ scharf, wegen des geringen Lichteinfalls durch die kleine Augenöffnung aber dunkel.

Das Wichtigste in Kürze
  • Fast alle Lebewesen auf der Erde verfügen über einen Lichtsinn. Der Aufbau der Sehorgane ist vielfältig.
  • Einfache Augentypen sind das Grubenauge und das Lochauge, höher entwickelte Formen sind das Linsen- sowie das Komplexauge.
  • Verhaltensstudien bei Tieren geben Aufschluss darüber, wie sie sehen. So können Vögel und viele Fische dank eines vierten Farbrezeptors etwa UV-Licht wahrnehmen.
Einzelne Sinneszellen und Flachauge

Die einfachste Form der Lichtwahrnehmung bieten einzelne Sinneszellen, die so genannte Opsine enthalten. Mit ihrer Hilfe kann ein Tier Hell und Dunkel unterscheiden. Manche Einzeller wie das Augentierchen Euglena besitzen nur eine Lichtsinnesorganelle, andere wie der Seestern haben mehrere Lichtsinneszellen über den gesamten Körper verteilt. Sammeln sich die Lichtsinneszellen an einer Stelle, entsteht ein so genanntes Flachauge. Mit ihm können zum Beispiel Quallen Hell-Dunkel-Kontraste erkennen.

Komplexaugen

Insekten und auch Krebse erblicken die Welt mit Komplexaugen, die auch Facettenaugen genannt werden. Bei ihnen haben sich mehrere ursprüngliche Augentypen nebeneinander gesetzt, jedes liefert ein eigenes Bild. Ein Libellenauge kann aus bis zu 30.000 Einzelaugen bestehen.

Linsenauge

Das Linsenauge der Wirbeltiere sorgt für Helligkeit und Schärfe. Auch Tintenfische verfügen über Linsenaugen, allerdings sind diese anders aufgebaut: Das Licht fällt dort direkt auf die Netzhaut und muss nicht erst mehrere Zellschichten durchdringen.

Helligkeit

Helligkeit/-/brightness

Die Helligkeit ist eine der Wahrnehmungsdimensionen des Sehens. Sie beeinflußt die Größe der Pupille.

Netzhaut

Netzhaut/Retina/retina

Die Netzhaut oder Retina ist die innere mit Pigmentepithel besetzte Augenhaut. Die Retina zeichnet sich durch eine inverse (umgekehrte) Anordnung aus: Licht muss erst mehrere Schichten durchdringen, bevor es auf die Fotorezeptoren (Zapfen und Stäbchen) trifft. Die Signale der Fotorezeptoren werden über den Sehnerv in verarbeitende Areale des Gehirns weitergeleitet. Grund für die inverse Anordnung ist die entwicklungsgeschichtliche Entstehung der Netzhaut, es handelt sich um eine Ausstülpung des Gehirns.
Die Netzhaut ist ca 0,2 bis 0,5 mm dick.

Wenn man ein Universalprinzip nennen müsste, das den Großteil der Organismen auf dieser Erde vereint, dann wäre dies wohl ihr Lichtsinn. Es gibt kaum Pflanzen, die sich nicht nach der Sonne ausrichten. Und es gibt nur wenige Tiere, die keinen Sehsinn haben. Denn wo Licht ist, gibt es auch zwangsläufig Augen. Doch Aufbau und Arbeitsweise der Sehorgane sind ähnlich vielfältig wie die Natur selbst.

Manche Algen sehen nur mit einzelnen Lichtsinneszellen, Regenwürmer verfügen am Schwanzende über kleine Vertiefungen, so genannte Grubenaugen, mit denen sie Hell und Dunkel unterscheiden. Insekten sehen die Welt wie ein Mosaik, zusammengesetzt aus tausenden von Einzellinsen, die zu einem Komplexauge verschaltet sind. Und auch wenn Wirbeltiere alle über ein Linsenauge verfügen, das dem der Menschen ähnelt, haben sie doch ganz unterschiedliche Fähigkeiten: Vögel sehen UV-​Licht und können Magnetströme erkennen, Chamäleons können ihre Augen getrennt voneinander bewegen und Hammerhaie haben wegen ihrer besonderen Kopfform gar eine Rundumsicht auf ihre Welt.

Die Augen sind so vielfältig und so perfekt auf ihre Anforderungen eingestellt, dass sogar Charles Darwin (1809 bis 1882) fast an ihnen verzweifelt wäre. „Die Annahme, dass das Auge mit all seinen unnachahmlichen Einrichtungen durch die natürliche Zuchtwahl entstanden sei, erscheint, wie ich offen bekenne, im höchsten Maße absurd“, schrieb der wohl bekannteste Evolutionstheoretiker in seinem Werk “The Origin of Species — Die Entstehung der Arten.”

Auge

Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb

Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.

Auge

Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb

Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.

Evolutionäres Wettrüsten

Heute jedoch gilt es als erwiesen, dass das komplexe Auge ein Produkt der Evolution ist. Der schwedische Zoologe Dan-​Erik Nilsson etwa berechnete in den neunziger Jahren, dass es gerade einmal 2.000 Entwicklungsschritte bräuchte, um von einer einfachen Lichtsinneszelle zum Linsenauge eines Wirbeltiers zu gelangen. Etwa 360.000 Generationen wären für eine solche Entwicklung nötig. Ein Klacks angesichts der Tatsache, dass es schon seit mindestens vier Milliarden Jahren Leben auf unserem Planeten gibt. Fossile Funde zeigen, dass binnen 100 Millionen Jahren alle heute bekannten Augentypen entstanden sind (siehe Textbox). Der Grund für dieses evolutionäre Wettrüsten liegt auf der Hand: Sehen zu können ist ein unschätzbarer Vorteil im Kampf ums Überleben – egal ob es darum geht, selbst etwas zu fressen zu finden oder darum, anderen gefräßigen Räubern zu entkommen.

Der Zoologe Andrew Parker von der Universität Oxford macht die Entwicklung des Auges bei primitiven Tieren sogar für die „kambrische Explosion“ verantwortlich. In dieser kurzen Periode der Erdgeschichte entstanden vor ca. 550 Millionen Jahren alle modernen Tiergruppen.

Schwammen die ersten Mehrzeller noch mit einzelnen Lichtsinneszellen im Meer herum, verfügen Quallen bereits über so genannte Flachaugen, eine zusammengeschlossene Ansammlung von Photorezeptoren. Plattwürmer hingegen schützen ihre Augen, indem sie die Lichtsinneszellen in ihren Körper einsenken – und erhalten durch diesen Trick zudem den Vorteil, dass sie neben Hell und Dunkel auch die grobe Richtung des Lichteinfalles bestimmen können, weil durch die Absenkung nicht alle Rezeptoren angestrahlt werden.

Noch besser geschützt sind die Lichtsinneszellen bei Lochaugen, wie man sie etwa bei Nautilus, einem Verwandten des Tintenfischs findet. Hier hat Gewebe die Grube so weit verschlossen, dass nur noch ein kleines Loch frei bleibt, in das Licht einfallen kann. Schon dadurch können Bilder entstehen, ähnlich wie bei einer simplen Lochkamera. Aus diesem Augentyp entwickelten sich dann die Linsenaugen, die ursprünglich nur dazu dienten, das Loch und den dahinter liegenden Hohlraum vor der Verstopfung mit Partikeln zu schützen.

Auge

Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb

Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.

Rezeptor

Rezeptor/-/receptor

Signalempfänger in der Zellmembran. Chemisch gesehen ein Protein, das dafür verantwortlich ist, dass eine Zelle ein externes Signal mit einer bestimmten Reaktion beantwortet. Das externe Signal kann beispielsweise ein chemischer Botenstoff (Transmitter) sein, den eine aktivierte Nervenzelle in den synaptischen Spalt entlässt. Ein Rezeptor in der Membran der nachgeschalteten Zelle erkennt das Signal und sorgt dafür, dass diese Zelle ebenfalls aktiviert wird. Rezeptoren sind sowohl spezifisch für die Signalsubstanzen, auf die sie reagieren, als auch in Bezug auf die Antwortprozesse, die sie auslösen.

Analoge Entstehung – anderes Resultat

Und doch gibt es Seitenwege in diesem Stufenschema der Evolution. So besitzt etwa der Tintenfisch zwar ebenfalls Linsenaugen, aber die sind ganz anders aufgebaut als jene bei Menschen oder Wirbeltieren. Ein Wirbeltier hat eine invertierte Netzhaut, die Photorezeptorzellen zeigen von der Linse weg. Das Licht muss deshalb durch eine Anzahl von Zellschichten hindurch, bevor es die lichtempfindlichen Zellen erreicht. Beim Tintenfisch-​Auge hingegen zeigen die Photorezeptorzellen direkt zur Linse. „Dadurch weiß man, dass das Auge analog und unabhängig zum Linsenauge des Wirbeltiers entstanden ist – ähnlich wie auch der Flügel etwa beim Vogel und einer Fledermaus“, sagt Jan Kremers, Professor für Experimentelle Ophthalmologie am Universitätsklinikum Erlangen.

Auch die Komplexaugen von Insekten und Krebsen, die aus tausenden miteinander verschalteten Linsen bestehen, lassen sich nicht in das Stufenmodell der Augenevolution einpassen. Darum vermuteten Forscher schon vor Jahrzehnten, dass sich die Augen mehrfach und zum Teil unabhängig voneinander entwickelt haben. Bereits 1977 errechneten der Evolutionsbiologe Ernst Mayr und der Wiener Zoologe Luitfried Salvini-​Plawen, dass dies mindestens 40 Mal geschehen sein müsste.

 

Linse

Linse/Lens crysstallina/lense

Die Augenlinse ist eine transparente, flexible Struktur, die durch ihren unterschiedlichen Krümmungsgrad (siehe dazu Ziliarmuskel und Zonulafasern) den Prozess der Akkomodation (das Fokussieren) und damit scharfes Sehen im Nahbereich ermöglicht.

Auge

Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb

Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.

Auge

Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb

Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.

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Papageien mit UV-​Blick

Diese Annahme stützen moderne Forschungsmethoden. „Wenn man etwa den zellulären Aufbau des Fischauges mit dem von anderen Wirbeltieren vergleicht, entdeckt man deutliche Unterschiede“, sagt Kremers. Während der Mensch zum Beispiel mit seinen Zapfen nur rot, grün und blau erkennt, verfügen Vögel und auch viele Fische über einen vierten Farbrezeptor: Sie sehen Ultraviolett, eine Wellenlänge, die uns völlig verborgen bleibt. Viele Vogelarten nutzen Ultraviolett auch zur Zeichnung ihrer Gefieder: Fast alle Papageien-​Arten zum Beispiel haben UV-​Töné in ihren Federn, und der für uns vollkommen schwarz erscheinende Seidenlaubenvogel zeigt sich seinen Artgenossen kontrastreich gezeichnet – in Ultraviolett. Doch auch wenn Tiere ähnliche Photorezeptoren haben, können sich ihre Augen über getrennte Wege entwickelt haben. „Mit Hilfe von Molekulargenetik kann man die genetischen Ursprünge der Pigmente untersuchen“, erklärt Kremers: “Sind dort keine Übereinstimmungen zu finden, kann man davon ausgehen, dass die Augen unabhängig voneinander entstanden sind.”

Zapfen

Zapfen/-/retinal cones

Die Zapfen sind eine Art von Fotorezeptoren der Netzhaut. Die drei unterschiedlichen S-​, M– und L-​Zapfen sind jeweils durch kurz-​, mittel und langwellige Frequenzen des sichtbaren Lichts erregbar und ermöglichen so Farbsehen.

Auge

Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb

Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.

Verhaltensstudien zeigen, was Tiere sehen

Die Untersuchung der evolutionären Entstehung der Augen hilft allerdings wenig bei der Frage, was Tiere mit ihren Augen eigentlich sehen. Um dies herauszufinden, nutzen Forscher Ableitungen der Aktionspotenziale einzelner Zellen. Dadurch können sie feststellen, wie groß etwa die räumliche Trennung zweier Punkte sein muss, damit ein Tier sie erkennen kann. Auch die zeitliche Auflösung des Gesehenen kann so ermittelt werden. Viele Tiere nämlich sehen ihre Umwelt schneller als wir Menschen: Beim Komplexauge von Fliegen etwa werden die Signale der Photorezeptoren wesentlich rascher verarbeitet. Ein Fernsehfilm wirkt für sie abgehackt wie eine Diashow.

Ob die Tiere die Informationen, die sie über ihre Augen erhalten, überhaupt benutzen, ist allerdings eine ganz andere Frage. „Das kann man nur mit Verhaltensstudien ermitteln“, sagt Kremers. In diesem Zusammenhang das bekannteste Studienobjekt ist wohl die Honigbiene. Mithilfe farbiger Blätter, auf die Zuckerlösung getropft wurde, haben Forscher festgestellt, dass sie alle Farben sehen kann – außer Dunkelrot. Dafür können Bienen ebenso wie Vögel auch Ultraviolett erkennen. Viele Pflanzen reflektieren diese Wellenlänge und machen sich so die speziellen Sehleistungen für sie wichtiger Tiere zu Nutze. Menschen wie Affen erkennen die Reifung der meisten Früchte am Farbumschlag nach Rot oder Gelb – und werden mit süßen Mahlzeiten belohnt, wenn sie die Verteilung der Samen zum rechten Zeitpunkt übernehmen. Reife Früchte bilden aber auch eine UV-​reflektierende Schale aus. So erkennen Vögel, welche Beeren bereits zum Verzehr geeignet sind. Eine Fähigkeit, mit der sie jeden Besitzer eines Kirschbaumes überflügeln und im Sommer zur Weißglut bringen können.

Auge

Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb

Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.

Aktionspotenzial

Aktionspotenzial/-/action potential

In erregbaren Zellen (z. B. Neuronen oder Muskelzellen) findet man sehr schnelle Änderungen des elektrischen Potenzials über der Zellmembran. Dieses Ereignis ist die Grundlage für die Informationsleitung entlang des Axons der Nervenzelle. Das Aktionspotenzial setzt sich entlang der Zellmembran fort und entsteht nach dem Alles-​oder-​Nichts-​Prinzip nur dann, wenn die Zelle ausreichend stark erregt wurde.

Veröffentlichung: am 03.11.2010
Aktualisierung: am 14.09.2016

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