Was Sport im Gehirn bewirkt

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Auswirkungen von Sport
Autor: Ulrich Pontes

Sport macht gute Laune und einen freien Kopf. Wie sich die Bewegung auf das Gehirn auswirkt, untersucht Stefan Schneider von der Sporthochschule Köln. Seine Botschaft: Sport tut nicht nur dem Körper, sondern auch der Psyche gut.

Wissenschaftliche Betreuung: Prof. Dr. Alexander Gail

Veröffentlicht: 30.07.2013

Niveau: mittel

Das Wichtigste in Kürze
  • Studien zeigen: Sport wirkt sich positiv auf Stimmung und geistige Leistungsfähigkeit aus.
  • Bewegungs-Neurowissenschaftler erkunden mittels EEG-Messungen, was dabei im Gehirn passiert.
  • Sport kann offenbar Cortex-Bereiche, die für kognitive Vorgänge zuständig sind, entlasten – welche Art und Intensität von Bewegung dafür nötig sind, hängt aber vermutlich von individuellen Faktoren ab.
Trainieren für die Marsmission

Auch in der psychischen Extremsituation eines simulierten Marsflugs hat Stefan Schneider untersucht, wie Sport dazu beitragen kann, Stimmung und Leistungsfähigkeit zu erhalten: Im Mars-500-Projekt lebten sechs Freiwillige von Mitte 2010 bis Ende 2011 abgeschnitten von der Außenwelt in einem Komplex in Russland. 520 Tage dauerte ihr Einsiedlerleben, das die Isolation und Eintönigkeit einer anderthalbjährigen bemannten Marsmission nachempfinden sollte. Umgebung und Tagesablauf waren so gestaltet, dass es einer realen Reise zum Nachbarplaneten möglichst nahe kommt.

Auch Sport gehörte zum Tagesprogramm. Vor und nach ihrem regelmäßigen, zwischen verschiedenen Sportarten wechselnden Training nahmen die Crew-Mitglieder selbstständig EEGs auf, dokumentierten ihr Befinden und stellten ihre kognitiven Leistungen bei Denksportaufgaben auf einem Smartphone unter Beweis. Die Resultate passen zu der Vermutung, dass Sport genau dann die kognitive Leistungsfähigkeit zu steigern vermag, wenn er mit einem Flow-artigen Versinken in der körperlichen Aktivität einhergeht.

Wenn Stefan Schneider in seiner Freizeit joggen geht, erlebt er ganz existenziell, was er als Wissenschaftler mühsam zu erforschen versucht: Sport tut gut – und zwar nicht nur dem Körper, sondern auch der Seele. Bewegung baut Stress ab und macht den Kopf frei für neue gedankliche Herausforderungen. Das beobachtet der Neurowissenschaftler auch an Schulkindern: „Wenn Sie die mal rauslassen, damit sie sich austoben, dann können Sie danach ganz anders mit ihnen arbeiten.“

Schneider erforscht am Institut für Bewegungs– und Neurowissenschaft der Deutschen Sporthochschule in Köln die positiven Auswirkungen von Bewegung auf Körper und Geist. Und damit ist er nicht allein: Dass Sport derartige Effekte hat, haben in den vergangenen Jahren zahlreiche Studien bestätigt. So unterzogen etwa Ulmer Neurowissenschaftler um Sanna Stroth, die mittlerweile an der Heinrich-​Heine Universität in Düsseldorf forscht, junge Erwachsene einem mehrwöchigen Ausdauer-​Lauftraining. Resultat: Verbesserungen im visuell-​räumlichen Gedächtnis, bei der Konzentrationsfähigkeit und der Stimmung. „Laufen macht schlau“, betitelten die Forscher ihre Studie. Und die Langzeituntersuchung „Bewegtes Alter“ an der Jacobs University Bremen ergab: Regelmäßiger Sport kann die Leistungsfähigkeit des Gehirns von Senioren deutlich steigern (Drei Fronten gegen Demenz).

Andere Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen. So herrscht weitgehend Konsens darüber, dass Sport bei der Behandlung von Depressionen hilft. Und die kognitiv leistungsfördernde Wirkung körperlichen Trainings wurde durch eine Meta-​Analyse im Jahr 2010 bestätigt, die knapp 30 zuvor veröffentlichte Einzelstudien zur Wirkung von Ausdauertraining in der Zusammenschau auswertete. Demnach sorgt die regelmäßige Bewegung für eine leichte Verbesserung der Aufmerksamkeit, der Verarbeitungsgeschwindigkeit und der Erinnerung.

Demenz

Demenz/Dementia/dementia

Demenz ist ein erworbenes Defizit kognitiver, aber auch sozialer, motorischer und emotionaler Fähigkeiten. Die bekannteste Form ist Alzheimer. „De mentia“ bedeutet auf Deutsch „ohne Geist“.

Depression

Depression/-/depression

Phasenhaft auftretende psychische Erkrankung, deren Hauptsymptome die traurige Verstimmung sowie der Verlust von Freude, Antrieb und Interesse sind.

Messungen unter Extrembedingungen

Der Neurowissenschaftler Stefan Schneider will allerdings mehr erreichen, als solche positiven Effekte nur festzustellen – er will herausfinden, warum und wie Sport sich neuronal auswirkt. Methodisch ist das nicht einfach. „Mit Gehirnforschung verbindet man ja immer die bunten Bilder aus dem Kernspintomografen“, erklärt der Bewegungsforscher. „Das Problem ist nur: Dafür muss man ruhig in der Röhre liegen. Mehr als Handbewegungen können Sie da nicht untersuchen.“ Zudem könnten die Aufnahmen nur dort gemacht werden, wo auch ein Kernspingerät mit seinen tonnenschweren Magneten steht – und die finden sich meist in Krankenhäusern.

Schneider will dagegen dort messen, wo Sport normalerweise getrieben wird. „Gerade wenn es um psychische Befindlichkeiten geht, macht es schließlich einen Unterschied, ob Sie auf dem Laufband im Labor joggen oder im Wald bei Sonnenuntergang“, sagt er. Schneider setzt deshalb vor allem auf EEG-​Messungen, welche die elektrische Aktivität im Gehirn durch Elektroden auf der Kopfhaut aufzeichnen. Die komplette Ausrüstung dafür – einschließlich spezieller Infrarot-​Sensoren, die zusätzlich die Durchblutung in den äußeren Gehirnschichten messen – steckt in einer Transportbox, nicht größer als ein großer Reisekoffer. Ein Aufkleber verrät, dass die Geräte schon auf Parabelflügen des Deutschen Zentrums für Luft– und Raumfahrt dabei waren, um Gehirnströme in der Schwerelosigkeit aufzuzeichnen.

Verkabelte Badekappe nutzt GPS-​Prinzip

Ist der Kopf des Probanden erst einmal vermessen, ist ein EEG relativ schnell aufgezeichnet: Die Versuchsperson setzt eine Art weiße Gummibademütze auf, in die Elektroden integriert sind. An jeder Elektrode wird per Spritze Gel unter die Kappe injiziert, bis eine grüné Leuchtdiode ausreichenden elektrischen Kontakt zur Kopfhaut signalisiert.

Misst die Elektrode Spannungsschwankungen an der Kopfhaut, leitet sie ein entsprechendes Signal an eines von zahlreichen winzigen Schaltkästchen, mit denen die Außenseite der Badekappe übersät ist. Die elektronischen Schaltungen sorgen für eine Verstärkung der Signale direkt an der Elektrode – und nicht wie bei herkömmlichen EEG-​Geräten am anderen Ende des Kabels. So verhindern sie, dass jede Bewegung des Kopfes und der Kabel unerwünschte Zacken in der Messkurve hervorruft.

Bei der Analyse der Daten hilft ein „Elektrotomografie“ genanntes Software-​Verfahren. „Nach dem gleichen Prinzip wie beim GPS, mit dem Sie die Position auf der Erde mithilfe mehrerer Satelliten berechnen, können Sie dank der vielen Elektroden nicht nur die elektrische Aktivität messen, sondern auch bestimmen, wo im Gehirn sich etwas tut“, sagt Schneider. So erhält der Forscher nicht nur zittrige EEG-​Kurven, sondern auch Aktivierungsbilder des Gehirns in drei Dimensionen.

EEG

Elektroencephalogramm/-/electroencephalography

Bei dem Elektroencephalogramm, kurz EEG handelt es sich um eine Aufzeichnung der elektrischen Aktivität des Gehirns (Hirnströme). Die Hirnströme werden an der Kopfoberfläche oder mittels implantierter Elektroden im Gehirn selbst gemessen. Die Zeitauflösung liegt im Millisekundenbereich, die räumliche Auflösung ist hingegen sehr schlecht. Entdecker der elektrischen Hirnwellen bzw. des EEG ist der Neurologe Hans Berger (1873−1941) aus Jena.

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Ein Reset fürs gestresste Gehirn

Schneider und seine Mitarbeiter haben die Gummikappen beispielsweise jüngeren Joggern aufgesetzt, während diese auf dem Laufband laufen, in die Pedale eines Fahrrad-​Ergometers treten und sich am Armkurbel-​Ergometer verausgaben mussten. Bei den Joggern zeigen die so entstandenen Bilder etwa, dass die Intensität der Beta-​Wellen des EEG in bestimmten Bereichen des präfrontalen Cortex nach dem Sport signifikant verringert ist – die geistige Aktivität in diesem Bereich also reduziert ist.

Dies passt zu Theorien, die davon ausgehen, dass Anstrengung das Aktivitätszentrum im Cortex verschiebt: Statt für kognitive und emotionale Prozesse werden die Ressourcen demnach zunehmend in Regionen gebraucht, die etwa für Muskulatur, Atmung und Körperwahrnehmung zuständig sind. „Sie können sich das vorstellen wie bei einem Windows-​Rechner, wenn sich zu viele Prozesse im Speicher angesammelt haben“, erklärt Schneider: „Damit er wieder flüssig läuft, hilft nur, ihn herunterzufahren und neu zu starten.“

Und noch auf einen weiteren Erklärungsansatz verweist der Forscher: Die Absenkung der Aktivität im präfrontalen Cortex sei mit dem aus der Motivationsforschung bekannten Flow-​Zustand verwandt. Unter „Flow“ verstehen Psychologen das wohlige Aufgehen in einer Tätigkeit, eine Art energiegeladenen Schaffensrausch, der einen genau auf dem schmalen Grat zwischen Unter– und Überforderung entlangführt.

EEG

Elektroencephalogramm/-/electroencephalography

Bei dem Elektroencephalogramm, kurz EEG handelt es sich um eine Aufzeichnung der elektrischen Aktivität des Gehirns (Hirnströme). Die Hirnströme werden an der Kopfoberfläche oder mittels implantierter Elektroden im Gehirn selbst gemessen. Die Zeitauflösung liegt im Millisekundenbereich, die räumliche Auflösung ist hingegen sehr schlecht. Entdecker der elektrischen Hirnwellen bzw. des EEG ist der Neurologe Hans Berger (1873−1941) aus Jena.

Präfrontaler Cortex

Präfrontaler Cortex/-/prefrontal cortex

Der vordere Teil des Frontallappens, kurz PFC ist ein wichtiges Integrationszentrum des Cortex (Großhirnrinde): Hier laufen sensorische Informationen zusammen, werden entsprechende Reaktionen entworfen und Emotionen reguliert. Der PFC gilt als Sitz der exekutiven Funktionen (die das eigene Verhalten unter Berücksichtigung der Bedingungen der Umwelt steuern) und des Arbeitsgedächtnisses. Auch spielt er bei der Bewertung des Schmerzreizes eine entscheidende Rolle.

Cortex

Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex

Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.

Alles eine Frage individueller Vorlieben?

Der beschriebene Entlastungseffekt stellte sich in dem Versuch allerdings nur beim Laufen ein – und auch nur, wenn sich die Probanden relativ stark verausgabten. Langsameres Laufen sowie die anderen Sportarten bewirkten nichts dergleichen. Schneider sieht sich dadurch in seiner Vermutung bestätigt, dass es von der einzelnen Testperson, ihren Präferenzen und ihrer Leistungsfähigkeit, letztlich also von sehr vielen Parametern abhängt, ob sich positive psychische Effekte einstellen und nachweisen lassen.

Das würde nicht nur erklären, warum Versuche von Bewegungs-​Neurowissenschaftlern bisher teils widersprüchliche Ergebnisse zu liefern scheinen. Es würde auch unterstreichen, dass Stefan Schneider mit dem Fernziel seiner Forschung richtig liegt. Der Neurowissenschaftler, der Sport und Theologie studiert hat, sorgt sich nämlich um die Folgen des heute verbreiteten Bewegungsmangels. „Übergewicht, Herz-​Kreislauf-​Erkrankungen, Diabetes, auch mentale Krankheiten – das alles hat stark zugenommen, seit immer weniger körperlich gearbeitet wird“, sagt Schneider. Aber obwohl alle um den gesundheitlichen Nutzen wüssten, gelinge es bisher bei vielen Menschen nicht, sie dauerhaft zum Sport zu motivieren: „Wem es keinen Spaß macht, der steigt schnell wieder aus.“

Schneider schwebt vor, ausgehend von neurophysiologischen Parametern wie dem EEG ein individuelles Sport-​Profil zu bestimmen – „eine Diagnostik, um einem Menschen schon im Voraus zu sagen, welche Art und Intensität von Bewegung ihm auch psychisch so richtig gut tun wird“. So könnte die wissenschaftlich-​technische Entwicklung, nachdem sie körperliche Aktivität weitgehend abgeschafft hat, eines Tages vielleicht doch wieder für ein ausreichendes Maß an Bewegung sorgen.

EEG

Elektroencephalogramm/-/electroencephalography

Bei dem Elektroencephalogramm, kurz EEG handelt es sich um eine Aufzeichnung der elektrischen Aktivität des Gehirns (Hirnströme). Die Hirnströme werden an der Kopfoberfläche oder mittels implantierter Elektroden im Gehirn selbst gemessen. Die Zeitauflösung liegt im Millisekundenbereich, die räumliche Auflösung ist hingegen sehr schlecht. Entdecker der elektrischen Hirnwellen bzw. des EEG ist der Neurologe Hans Berger (1873−1941) aus Jena.

zum Weiterlesen:

  • Boecker, Henning; Hillman Charles H.; Scheef, Lukas; Strüder, Heiko K. (Hg): Functional Neuroimaging in Exercise and Sport Sciences, New York 2012
  • Sporthochschule Köln; URL: www​.dshs​-koeln​.de [Stand 30.7.2013]; zur Webseite

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One comment

Warum werden, wie auch in diesem Artikel, zunehmend Sport und Bewegung synonym gebraucht? Es gibt doch einige Sportarten, z. B. Schach, die mit Bewegung wenig zu tun haben und anders herum Bewegungsabläufe, die nicht als Sport zu bezeichnen sind und trotzdem den untersuchten Kriterien entsprechen, also anstrengend und lustbetont sind. Ich fürchte, hier zeigt sich ein genereller gesellschaftlicher Trent: Nur Freizeitbeschäftigung spricht Sport, kann lustbetont und damit gesund sein, Arbeit, zumal körperliche Arbeit, ist immer frustrierend und hat damit keine Wert. Ich denke, genau dieses Denken führt dann auch zu dem bemängelten Bewegungsmangel in der Gesellschaft.

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