Frage an das Gehirn

Was steckt neurobiologisch hinter Schlafstörungen?

Fragesteller/in: Axel von Stahl, per E-Mail

Veröffentlicht: 28.03.2013

Es gibt ja viele Ratgeber für besseren Schlaf, aber in manchen Lebensphasen findet man doch keine Ruhe. Was geht dabei im Gehirn vor sich?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Dieter Riemann, Professor für klinische Psychophysiologie an der Universitätsklinik Freiburg:

Fachleute sprechen von einer Schlafstörung, einer Insomnie, wenn Ein– und Durchschlafstörungen länger als einen Monat anhalten und die Leistungsfähigkeit stark eingeschränkt ist. Dieses Störungsbild war lange Zeit die Domäné der Psychologie. Schon vor hundert Jahren ging man davon aus, dass Menschen nicht schlafen können, wenn sie Stress und überreizte Nerven haben. In den 1960er Jahren hat man dann begonnen, Schlafuntersuchungen mit dem Elektroenzephalogramm durchzuführen und sich die Hirnwellen von Betroffenen anzuschauen. Man stellte fest, dass viele Menschen, die über Schlaflosigkeit klagen, gar nicht so schlecht und so kurz schlafen, wie Sie es selber erlebten. Diese Feststellung hat das Thema noch weiter ins Psychologische gedrängt. Schlafstörungen schienen eine Fehlwahrnehmung der Betroffenen zu sein.

Später hat man sich Schlafstörungen aber doch noch einmal näher angeschaut. Forscher haben das Schlaf-​EEG in die einzelnen Frequenzspektren zerlegt. Und da konnten sie sehen, dass bei Menschen mit Insomnie vermehrt Hirnwellen mit schnellen Frequenzen auftreten. Schnellere Frequenzen zeigen eigentlich immer einen höheren Bewusstseinszustand an. Je langsamer die Frequenzen sind, desto „bewusstloser“ ist man. Das erklärt, warum Betroffene ihren Schlaf so anders wahrnehmen, denn ihre Gedanken „rasen“ im Schlaf weiter.

Außerdem ließ sich beobachten, dass bei diesen Menschen im Schlaf die Herzfrequenz höher ist und auch das Stresshormon Cortisol aktiviert ist. Obwohl sie oberflächlich besehen, also was die Makrostruktur der Hirnströme betrifft, schlafen, zeigen sie viele Zeichen einer vegetativen und zentralnervösen Aktivität. Sie befinden sich in keinem so ruhigen Schlaf wie gesunde Schläfer.

Später konnte man mit bildgebenden Verfahren beobachten, dass bei Menschen mit Insomnie viele Hirnareale nicht ausreichend im Schlaf deaktiviert werden. All dies spricht dafür, dass bei Menschen mit Insomnnie eine Übererregung, ein so genanntes Hyperarousal, vorliegt. Wir nehmen an, dass es ein Wach– und ein Schlafsystem gibt. Ein entwicklungsgeschichtlich altes System, darunter der Hirnstamm, aktiviert uns, macht uns wach. Hier sind Botenstoffe im Spiel wie Noradrenalin und Serotonin sowie Orexin im Hypothalamus.

Im Hypothalamus, aber an anderer Stelle, befindet sich das Schlafsystem. Es arbeitet mit hemmenden Botenstoffen, Gamma-​Aminobuttersäure, kurz GABA. Viele Schlafmittel wirken genau auf dieses Schlafsystem ein, verstärken die Effekte der hemmenden Botenstoffe. Bezeichnenderweise fand man bei Menschen mit Insomnie im Vergleich zu gesunden Schläfern eine geringere Konzentration dieses Botenstoffs, was die Übererregung im Gehirn erklären könnte.

Meine Arbeitsgruppe vermutet, dass bei Insomnie ein Ungleichgewicht herrscht zwischen dem Wach– und dem Schlafsystem. Das Wachsystem wird bei den Betroffenen nicht komplett abgeschaltet. Warum dem so ist, können wir bisher nur vermuten. Es könnte die Folge einer genetischen Veranlagung sein. Es spielen aber sicherlich auch Persönlichkeitsmerkmale eine Rolle. Menschen mit Insomnie sind häufig perfektionistisch und übergenau. Schon in Kleinigkeiten steigern sie sich hinein und können dann nachts ihre Erregung nicht mehr herunterregulieren.

Aufgezeichnet von Christian Wolf

Schlafstörungen

Schlafstörung/-/sleep disorder

Ein Sammelbegriff für verschiedene Phänomene, die sich dadurch auszeichnen, dass die Betroffenen keinen erholsamen Schlaf haben. Hierzu können sowohl psychische als auch organische Ursachen beitragen. Die Symptome reichen von Problemen beim Einschlafen und Durchschlafen bis hin zu unerwünschten Verhaltensweisen im Schlaf wie etwa Schlafwandeln, ruhelose Beine beim Einschlafen („restless legs“), Atemaussetzer im Schlaf („Schlafapnoe“) etc. Schätzungen zufolge leiden in den westlichen Ländern bis zu 30 Prozent aller Erwachsenen an irgendeiner Form von Schlafstörung. Die Suche nach den Ursachen ist häufig kompliziert, eine Analyse im Schlaflabor die beste Untersuchungsmethode.

Cortisol

Cortisol/-/cortisol

Ein Hormon der Nebennierenrinde, das vor allem ein wichtiges Stresshormon darstellt. Es gehört in die Gruppe der Glucocorticoide und beeinflusst im Körper den Kohlenhydrat– und Eiweißstoffwechsel.

Noradrenalin

Noradrenalin/-/noradranalin

Gehört neben Dopamin und Adrenalin zu den Catecholaminen. Es wird im Nebennierenmark und in Zellen des Locus coeruleus produziert und wirkt meist anregend. Noradrenalin wird oft mit Stress in Verbindung gebracht.

Serotonin

Serotonin/-/serotonin

Ein Neurotransmitter, der bei der Informationsübertragung zwischen Neuronen an deren Synapsen als Botenstoff dient. Er wird primär in den Raphé-​Kernen des Mesencephalons produziert und spielt eine maßgebliche Rolle bei Schlaf und Wachsamkeit, sowie der emotionalen Befindlichkeit.

Hypothalamus

Hypothalamus/-/hypothalamus

Der Hypothalamus gilt als das Zentrum des autonomen Nervensystems, er steuert also viele motivationale Zustände und kontrolliert vegetative Aspekte wie Hunger, Durst oder Sexualverhalten. Als endokrine Drüse (die – im Gegensatz zu einer exokrinen Drüse – ihre Hormone ohne Ausführungsgang direkt ins Blut abgibt) produziert er zahlreiche Hormone, die teilweise die Hypophyse hemmen oder anregen, ihrerseits Hormone ins Blut abzugeben. In dieser Funktion spielt er auch bei der Reaktion auf Schmerz eine wichtige Rolle und ist in die Schmerzmodulation involviert.

GABA

GABA/-/GABA

GABA ist eine Aminosäure und der wichtigste inhibitorische, also hemmende Neurotransmitter, der bei der Informationsübertragung zwischen Neuronen an deren Synapsen als Botenstoff dient.

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