Frage an das Gehirn

Warum kann ich Ohrwürmer noch nach Jahrzehnten mitsingen?

Fragesteller/in: Franka B. aus Hamburg via Mail

Veröffentlicht: 02.08.2014

Warum kann ich auf einer 90er-​Jahre-​Party alle Songtexte mitsingen, auch wenn ich die jahrelang nicht gehört habe? Und das, obwohl ich mir kaum einen Song aus dem heutigen Dudelfunk merken, geschweige denn mich an ein Gedicht aus Schulzeiten erinnern kann!

Die Antwort der Redaktion lautet:

Antwort von Prof. Dr. Eckart Altenmüller, Direktor des Instituts für Musikphysiologie und Musikermedizin an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover:

„I can’t get no satisfaction“, „Yesterday“, „It’s been a hard day’s night“, „We are the Champions“: Diese Songs kann ich heute noch auswendig singen, nicht nur die Melodien, sondern auch die Texte. Das geht mir mit vielen Songs so von den Beatles und den Bee Gees, von Freddie Mercury und Queen und den Rolling Stones. Denn all diese Songs waren zu meiner Schulzeit Kult – ich bin 1955 geboren. Der Leserin geht es ähnlich, nur halt mit Songs aus den 90ern.

Dass wir Ohrwürmer auch nach Jahren oder Jahrzehnten noch textsicher mitsingen können, liegt daran, dass die Songtitel zu einer Zeit gehört und ins Gedächtnis eingespeichert wurden, als man besonders stark emotional auf Musik reagiert hat. Das ist häufig nach der Pubertät der Fall, zwischen 14 und 24 Jahren: Da wird vieles zum ersten Mal erlebt und man hört zusammen mit Menschen Musik – da landen auch Songtexte im autobiografischen Gedächtnis.

Den Effekt kennt man auch aus dem Film „Casablanca“: Ein bestimmtes Lied erinnert an eine Liebesaffäre von vor ein paar Jahren. Deswegen hat ein Mann dem Pianisten in einer Bar verboten, dieses Stück zu spielen – aber die Frau kommt und sagt immer wieder zum Pianisten: „Spiel‚s noch einmal, Sam!„

Neuere Lieder sind längst nicht so stark affektiv beladen: In der Zwischenzeit ist Musik nicht mehr so wichtig und man hat auch nicht unbedingt mehr so viele neue Erlebnisse wie als Jugendlicher und junger Erwachsener. Außerdem haben wir die Songs aus der jüngeren Vergangenheit noch nicht so oft gehört, während die Songs auf einer 90er Jahre-​Party nun mal die besten ihrer Zeit waren und immer wieder gespielt werden. So werden die Texte wiederholt und weiterhin behalten – das Gedächtnis wird also konsolidiert.

Hinzu kommt: Ein Hit wird oft, was eine einprägsame Melodie hat: Die Komposition hat oft ein repetitives Muster. Eine hochkomplexe Melodie hingegen wird eher kein Hit, auch wenn der Text einfach ist.

All das zusammen bedeutet also: Ohrwürmer lassen sich gut mitsingen. Deswegen lassen sie sich gut behalten und werden auch öfter gespielt. Dann haben sie auch eher die Chance, mit Emotionen oder Erlebnissen verbunden zu werden. Und so bleiben die Songs dann ganz besonders gut hängen.

Man kann sich diesen Effekt auch umgekehrt zunutze machen. Das hat zum Beispiel eine Studie von Jaak Panksepp Ende der 1990er Jahre gezeigt: Medizinstudenten sollten Begriffe aus der Neuroanatomie, zum Beispiel die Namen von verschiedenen Hirnregionen, auswendig lernen. Die eine Hälfte bekam die Begriffe vorgelesen, die andere Hälfte vorgesungen. Nach einem Tag und nach acht Tagen wurde geprüft, an wie viele Begriffe sich die Versuchsteilnehmer noch erinnern konnten. Die Rate der behaltenen Begriffe war bei jenen höher, die die Begriffe vorgesungen bekommen hatten: Ihre Gedächtnisleistung war also besser. Dabei war die Melodie auch neu. Ob das mit Ohrwürmern von den Beatles oder den Backstreet Boys funktioniert, müsste man ausprobieren.

Antwort aufgezeichnet von Franziska Badenschier

Links:

Homepage Eckart Altenmüller

Panksepp, J., Bernatzky, G.: Emotional sounds and the brain: the neuro-​affective foundations of musical appreciation. Behavioural Processes 2002; 133 – 155. (abstract)

Gedächtnis

Gedächtnis/-/memory

Gedächtnis ist ein Oberbegriff für alle Arten von Informationsspeicherung im Organismus. Dazu gehören neben dem reinen Behalten auch die Aufnahme der Information, deren Ordnung und der Abruf.

Emotionen

Emotionen/-/emotions

Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.

Emotionen

Emotionen/-/emotions

Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.

Emotionen

Emotionen/-/emotions

Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.

Tags

Lizenzbestimmungen

Keine Nutzungslizenz vergeben:
Nur anschauen erlaubt.