Frage an das Gehirn

Sind alle Babys Synästheten?

Fragesteller/in: Kerstin Borbetomagus via Facebook

Veröffentlicht: 09.11.2015

Stimmt es, dass Babys als Synästheten geboren werden? Wenn ja, wann verschwindet diese Fähigkeit?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Peter H. Weiss-​Blankenhorn, Institut für Neurowissenschaften und Medizin, Forschungszentrum Jülich: Ob Babys oder Kleinkinder Synästheten sind, kann man nicht sicher sagen. In der Tat kann man zwar mittels EEG beobachten, dass bei Babys beispielsweise beim Anblick eines Bildes eine Region im auditiven Cortex aktiviert wird. Das heißt, visuelle Reize werden in einer Region verarbeitet, die eigentlich auditive Reize verarbeitet. Während die primären Areale bei Erwachsenen klar nach oben berichten – beispielsweise vom primären zum sekundären auditiven Cortex – und dabei Sinneseindrücke immer besser einordnen, gibt es bei Babys offenbar Querverbindungen zwischen den Sinnen. Aber nur weil wir Forscher im EEG in dieser Region ein Potenzial ableiten können, heißt das noch lange nicht, dass das die Probanden auch wahrnehmen. Und naturgemäß kann man Babys und Kleinkinder nicht danach befragen.

Aber es gibt eine prominente Theorie bezüglich der Entstehung der Synästhesie, die in der Tat davon ausgeht, dass wir alle mit entsprechenden Anlagen auf die Welt kommen: Lebewesen höherer Art werden mit einem stark verbundenen Gehirn geboren. Bei Affen konnte man eine hohe Konnektivität zwischen primären sensorischen Arealen nachweisen, beispielsweise zwischen primär visuellem und primär auditivem Cortex. Auch bei Kindern gibt es viele direkte Kontakte zwischen diesen Arealen, beispielsweise zwischen visuellen und taktilen, die bei Erwachsenen in der Regel nicht mehr bestehen – außer bei Synästheten. Die Pruning-​Theorie besagt, dass solche direkten Verbindungen im Laufe der Zeit abgebaut werden, weil das Gehirn sie nicht mehr braucht. Das erklärt auch, wieso Synästheten beispielsweise Buchstaben häufig mit Farben assoziieren – die entsprechenden Areale liegen nah beieinander. Synästheten, die Wörter schmecken, gibt es hingegen weniger: Die Areale liegen weiter auseinander.

Wann diese Verbindungen genau abgebaut werden, weiß man noch nicht. Dafür bräuchte es longitudinale Studien, die ein Kind über viele Jahre begleiten. Die gibt es noch nicht, auch weil es nicht so einfach ist, Probanden zu finden. Eine Studie mit Kindern im Alter von rund sieben Jahren fand im Schnitt etwa 1,3 Prozent Buchstaben-​Farben-​Synästheten. Sechsjährige hatten die Fähigkeit – bei einer allerdings recht kleinen Stichprobe – 2,5-fach häufiger als Siebenjährige.

Zudem kann man Kinder schwer im Magnetresonanztomografen (MRT) untersuchen, da sie dort lange stillliegen müssen. Bei Erwachsenen kann man mittels MRT eine solche Konnektivität gut nachweisen: Synästheten haben mehr Verknüpfungen. Relativ sicher ist, dass Synästheten als solche geboren werden. Manche Erwachsene erinnern sich daran, dass sie als Kind entsprechende Fähigkeiten hatten, die dann verloren gingen. Aber alle erwachsenen Synästheten sagen: Ich habe das schon immer. Warum bei manchen Menschen diese Nervenverbindungen erhalten bleiben, weiß man nicht. Es scheint aber erblich zu sein: Wir beobachten klare familiäre Zusammenhänge.

Aufgezeichnet von Eva Wolfangel

EEG

Elektroencephalogramm/-/electroencephalography

Bei dem Elektroencephalogramm, kurz EEG handelt es sich um eine Aufzeichnung der elektrischen Aktivität des Gehirns (Hirnströme). Die Hirnströme werden an der Kopfoberfläche oder mittels implantierter Elektroden im Gehirn selbst gemessen. Die Zeitauflösung liegt im Millisekundenbereich, die räumliche Auflösung ist hingegen sehr schlecht. Entdecker der elektrischen Hirnwellen bzw. des EEG ist der Neurologe Hans Berger (1873−1941) aus Jena.

Auditorischer Cortex

Auditorischer Cortex/-/auditory cortex

Der auditorische Cortex ist ein Teil des Temporallappens, der mit der Verarbeitung akustischer Signale befasst ist. Er unterteilt sich in primäre und sekundäre Hörrinde.

Cortex

Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex

Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.

Magnetresonanztomographie

Magnetresonanztomographie/-/magnetic resonance imaging

Ein bildgebendes Verfahren, das Mediziner zur Diagnose von Fehlbildungen in unterschiedlichen Geweben oder Organen des Körpers einsetzen. Die Methode wird umgangssprachlich auch Kernspin genannt. Sie beruht darauf, dass die Kerne mancher Atome einen Eigendrehimpuls besitzen, der im Magnetfeld seine Richtung ändern kann. Diese Eigenschaft trifft unter anderem auf Wasserstoff zu. Deshalb können Gewebe, die viel Wasser enthalten, besonders gut dargestellt werden. Abkürzung: MRT.

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