Frage an das Gehirn

Schon wieder dieses Wort – wie kommt das?

Fragesteller/in: Wenke H. via E-Mail

Veröffentlicht: 23.07.2013

Manchmal höre oder lese ich ein Wort ewig nicht und dann taucht es plötzlich in kurzer Zeit doppelt auf, wenn auch in einem anderen Kontext. Das ist doch kein Déjà-​vu – aber was dann? Und gibt es einen Fachbegriff für dieses Phänomen?“

Die Antwort der Redaktion lautet:

Prof. Dr. Alan Richardson-​Klavehn, Psychologe und Hirnforscher, Leiter der Arbeitsgruppe Gedächtnis und Bewusstsein, Universitätsklinik für Neurologie, Otto-​von-​Guericke-​Universität Magdeburg:

Dieses Phänomen lässt sich wahrscheinlich auf das so genannte „perceptual priming“ zurückführen, wörtlich übersetzt heißt das „Wahrnehmungsvorbereitung“. Mit „perceptual“ ist gemeint: Ein Wort auf einem Blatt ist zunächst einmal nur ein Muster. Wenn man das liest, dann müssen Wahrnehmungsmechanismen im Gehirn dieses Muster verarbeiten und aus dem Gedächtnisspeicher die zum Muster passende Bedeutung abrufen. Und mit „priming“ ist gemeint: Wenn man einen Reiz wie zum Beispiel ein Wort verarbeitet hat, dann kann der Reiz künftig leichter verarbeitet werden. Dieses perceptual priming funktioniert von allein; man muss dafür überhaupt nichts tun.

Die Gedächtnis-​Mechanismen dafür sind in jenen Hirnregionen eingebaut, die für die visuelle Wortverarbeitung zuständig sind, nämlich in Teilen des sekundären visuellen Cortex, des Gyrus fusiformis sowie des inferioren frontalen Cortex – also in der so genannten ventralen visuellen Bahn. Wird ein Wort wiederholt, wird die neuronale Aktivität in diesen Regionen reduziert, weil sie das Wort effizienter verarbeiten.

Wenn ein selten auftauchendes Wort nun in kurzer Zeit doch wieder vorkommt, dann ist die Informationsverarbeitung bei der Wiederholung besonders erleichtert. Die Informationsverarbeitung, die fürs Gehirn beim ersten Mal schwieriger als sonst war, hat beim zweiten Mal viel Raum für Verbesserung durch perceptual priming. Das bedeutet: Das perceptual priming ist stärker für jene Wörter, die in der Sprache selten vorkommen, und schwächer für Wörter, die in der Sprache häufig vorkommen. Eben weil häufige Wörter schon sehr effizient verarbeitet werden.

Nun gibt es zwei mögliche Erklärungen, warum das Wort beim zweiten Auftauchen besonders auffällt. Die erste Erklärung verlässt sich auf die so genannte „attribution theory“, einen Teil des breiteren Konzepts von „metamemory“. Taucht ein seltenes Wort in kurzer Zeit ein zweites Mal auf, dann merkt man, dass das Wort viel effizienter und fließender verarbeitet wird, als das normalerweise für ein selten auftauchendes Wort der Fall wäre. Daher gibt es „unexpected fluency“, unerwartete Flüssigkeit. Man sucht eine Erklärung dafür und denkt bewusst darüber nach, wo und wann dieses Wort einem vorher begegnet ist.

Die zweite, direktere, Erklärung verlässt sich auf das Konzept des „involuntary conscious memory“, auf Deutsch heißt das so viel wie „unbeabsichtigte bewusste Erinnerung“. Das perceptual priming, das beim zweiten Mal passiert, treibt automatisch den simultanen Abruf einer episodischen Gedächtnisspur im Gehirn an. Das führt unvermeidbar dazu, sich bewusst an die vorherige Begegnung mit dem Wort zu erinnern. Die zweite Erklärung wäre besonders wahrscheinlich, da bei einem selten auftauchenden Wort die vorherige Begegnung eine sehr markante Episode war.

Diese Konzepte – perceptual priming zusammen mit unexpected fluency oder involuntary conscious memory – könnten wohl das Phänomen erklären, das die Leserin beschreibt.

Aufgezeichnet von Franziska Badenschier

Gedächtnis

Gedächtnis/-/memory

Gedächtnis ist ein Oberbegriff für alle Arten von Informationsspeicherung im Organismus. Dazu gehören neben dem reinen Behalten auch die Aufnahme der Information, deren Ordnung und der Abruf.

Gyrus fusiformis

Gyrus fusiformis/Gyrus fusiformis/fusiforme gyrus

Der Gyrus fusiformis liegt im inferioren, also inneren Temporallappen und spielt eine wichtige Rolle bei der Erkennung von Objekten. Im rechten Gyrus fusiformis wird die Gesichtserkennung vermutet, weshalb diese Struktur auch als fusiformes Gesichtsareal bezeichnet wird.

Cortex

Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex

Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.

Engramm

Engramm/-/engram

Ein Engramm, auch als Gedächtnisspur bezeichnet, ist eine neuronale Entsprechung von Gedächtnisinhalten. Es wird vermutet, dass Lernprozesse auf strukturellen Veränderungen in synaptischen Verbindung von Neuronen beruhen.

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