Frage an das Gehirn

Können sich emotionale Menschen besser erinnern?

Fragesteller/in: Leser via Email

Veröffentlicht: 28.03.2015

Emotionale Ereignisse können wir oft besser Erinnern. Bedeutet das, dass besonders emotionale Menschen ein besonders gutes Gedächtnis haben?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Antwort von Prof. Dr. Gernot Horstmann, Professor für Psychologie an der Universität Bielefeld

Emotionen haben zweifellos einen Einfluss auf Erinnern und Vergessen. Jeder kennt das: An emotionale Ereignisse, Geschichten oder Bilder erinnert man sich besser als an langweilige. Aber das, was man im Alltag Gedächtnis nennt, besteht aus zwei Komponenten, zwischen denen man unterscheiden muss: dem Speichern und dem Abrufen.

Beim Speichern spielt die emotionale Bewertung dessen, was eingespeichert wird, eine große Rolle. Das beste Beispiel ist die so genannte Blitzlichterinnerung. Die allermeisten Menschen können sich erinnern, wo sie waren, als sie die Nachricht vom Angriff auf der World Trade Center erhalten haben. Sie haben eine sehr genaue visuelle Erinnerung an diesen Moment, als hätten sie den Augenblick auf einem Foto festgehalten. Man geht davon aus, dass solche Blitzlichterinnerungen zustande kommen, wenn ein Ereignis hoch emotional, wichtig und überraschend ist, so dass man seine ganze Aufmerksamkeit darauf richtet. Wichtig und emotional ist für Gedächtnisforscher fast das Gleiche. Dazu kommt, dass man über wichtige und emotionale Dinge häufiger spricht, sie vielleicht in den Medien diskutiert werden, man sie insgesamt häufiger abruft. Das führt dazu, dass die Erinnerungsspur im Gedächtnis nicht so schnell abgebaut und bisweilen auch gestärkt wird.

Das gilt nicht nur für dramatische Ereignisse wie 9/​11, sondern generell: Wenn man versucht, sich an etwas zu erinnern, gibt es meist viele ähnliche Gedächtnisinhalte, die infrage kämen. Ist eine Erinnerung als emotional ausgezeichnet, hat sie einen Vorteil in diesem Wettstreit und wird besser erinnert. Im Gehirn spielt hierfür die Amygdala eine wichtige Rolle. Sie zeigt bei der Wahrnehmung von emotional aufgeladenen Inhalten eine erhöhte Aktivität. Menschen, bei denen diese nicht richtig arbeitet, können sich an emotionale Stimuli nicht besser erinnern als an neutrale.

Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass das Abrufen einer Erinnerung besser gelingt, wenn der Mensch emotional ist. Starke Emotionen können hierbei sogar hinderlich sein. Man denke nur an das berühmt-​berüchtigte Blackout bei einer Prüfung. Vor lauter Angst und Aufregung funktioniert der Abruf der Gedächtnisinhalte nicht mehr, das Erinnern ist blockiert. Dies geschieht aber viel seltener, als viele Schüler und Studierende befürchten. Letztlich, das haben Stressforscher immer wieder bestätigt, steigert ein wenig Stress und ein leicht erhöhtes Level des Stresshormons Cortisol die Gedächtnisleistung. Wenn es aber zu viel wird, lässt das Gedächtnis stark nach. Das gilt vor allem für negative Emotionen wie Angst. [[Link auf den Extinktions-​Artikel „Mit Stress besser verlernen“?]]

Nähme also ein Mensch eine Situation, die ein anderer noch als neutral beurteilen würde, schon als emotional wahr, müsste er sich an diese in der Tat besser erinnern können. Wäre aber jemand emotional ständig sehr erregt, würde sein Gehirn also alle oder die meisten Wahrnehmungen mit dem Marker „emotional bedeutsam“ auszeichnen, hätte er aus kognitiver Sicht wohl keinen Vorteil beim Abruf. Die emotionale Erinnerung verliert ja dann ihren Sonderstatus. Belegt ist, dass Frauen sich ein wenig besser als Männer an emotionale Bilder erinnern. Das als Beleg für diese These zu werten, würde aber die Annahme vorauszusetzen, dass Frauen emotionaler sind als Männer, was natürlich auch fraglich ist.

Aufgezeichnet von Manuela Lenzen.

Emotionen

Emotionen/-/emotions

Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.

Gedächtnis

Gedächtnis/-/memory

Gedächtnis ist ein Oberbegriff für alle Arten von Informationsspeicherung im Organismus. Dazu gehören neben dem reinen Behalten auch die Aufnahme der Information, deren Ordnung und der Abruf.

Aufmerksamkeit

Aufmerksamkeit/-/attention

Aufmerksamkeit dient uns als Werkzeug, innere und äußere Reize bewusst wahrzunehmen. Dies gelingt uns, indem wir unsere mentalen Ressourcen auf eine begrenzte Anzahl von Bewusstseinsinhalten konzentrieren. Während manche Stimuli automatisch unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, können wir andere kontrolliert auswählen. Unbewusst verarbeitet das Gehirn immer auch Reize, die gerade nicht im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen.

Emotionen

Emotionen/-/emotions

Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.

Amygdala

Amygdala/Corpus amygdaloideum/amygdala

Ein wichtiges Kerngebiet im Temporallappen, welches mit Emotionen in Verbindung gebracht wird: es bewertet den emotionalen Gehalt einer Situation und reagiert besonders auf Bedrohung. In diesem Zusammenhang wird sie auch durch Schmerzreize aktiviert und spielt eine wichtige Rolle in der emotionalen Bewertung sensorischer Reize. Die Amygdala – zu Deutsch Mandelkern – wird zum limbischen System gezählt.

Wahrnehmung

Wahrnehmung/Perceptio/perception

Der Begriff beschreibt den komplexen Prozess der Informationsgewinnung und –verarbeitung von Reizen aus der Umwelt sowie von inneren Zuständen eines Lebewesens. Das Gehirn kombiniert die Informationen, die teils bewusst und teils unbewusst wahrgenommen werden, zu einem subjektiv sinnvollen Gesamteindruck. Wenn die Daten, die es von den Sinnesorganen erhält, hierfür nicht ausreichen, ergänzt es diese mit Erfahrungswerten. Dies kann zu Fehlinterpretationen führen und erklärt, warum wir optischen Täuschungen erliegen oder auf Zaubertricks hereinfallen.

Cortisol

Cortisol/-/cortisol

Ein Hormon der Nebennierenrinde, das vor allem ein wichtiges Stresshormon darstellt. Es gehört in die Gruppe der Glucocorticoide und beeinflusst im Körper den Kohlenhydrat– und Eiweißstoffwechsel.

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